Nachhaltiger Fliegen
Ed Sims schätzt die Lage richtig ein. „Wir haben am meisten zu verlieren, weil wir am weitesten weg sind." Mit einem Satz erklärt der für internationale Aktivitäten zuständige Generalmanager, weshalb auf dem Weg zur besseren Klimaverträglichkeit ausgerechnet seine Fluggesellschaft Air New Zealand eine Spitzenposition anpeilt. Die sich selbst als Kiwis bezeichnenden Neuseeländer leben nicht nur von Europa aus betrachtet genau auf der anderen Seite der Erde, sondern dort auch ziemlich isoliert im Südpazifik.
Selbst zum nächsten Nachbarn Australien sind es mehr als drei Stunden Flug. Andere Metropolen wie Hongkong, Singapur oder Los Angeles erreichen die Kiwis erst nach einem halben Tag in der Luft. Da obendrein die 2,5 Millionen Neuseelandbesucher im Jahr praktisch ausschließlich mit dem Jet einreisen und dieser Tourismus eine der tragenden Säulen der Wirtschaft ist, hängt das Land mehr oder minder am Tropf der Luftfahrt. Vor diesem Hintergrund liegt bei meist steigenden Kerosinpreisen und dem im Land stark ausgeprägten Öko- und Klimabewusstsein die Ankündigung von Ed Sims nahe, „wir wollen die umweltbewussteste Fluggesellschaft der Welt werden".
Das größte Hindernis auf dem Weg dorthin ist der Durst der knapp hundert Flugzeuge der Gesellschaft. Allein der Flug von Berlin über London, Los Angeles oder Hongkong nach Auckland und wieder zurück bläst für jeden einzelnen Passagier an Bord 4,1 Tonnen des Klimagases Kohlendioxid in die Luft. Fließt Bio-Kerosin statt des üblichen Sprits aus Erdöl in die Turbinen, werden zwar ähnliche Mengen des Treibhausgases frei. Allerdings belasten sie das Klima nicht, weil die zu Bio-Kerosin verarbeiteten Pflanzen beim Wachsen ähnliche Mengen Kohlendioxid aus der Luft geholt haben. „Entscheidend ist für Air New Zealand, aus welchen Pflanzen das Bio-Kerosin entsteht", betont Ed Sims. Damit spielt er auf den britischen Konkurrenten Virgin Atlantic an, der bereits im Februar 2008 einen Jumbojet mit Bio-Kerosin starten ließ. Das war allerdings aus Kokosöl hergestellt, das auch als Nahrungsmittel taugt.
Da die Air-New-Zealand-Flüge keinesfalls eine Hungersnot verursachen sollen, suchten die Mitarbeiter einen Bio- Sprit, der nicht mit Nahrungsmitteln konkurriert. Angeboten hat sich der Jatropha-Strauch, mit dem Hirten in Teilen Indiens und dem Osten Afrikas die Weiden ihrer Tiere einzäunen. Aus Jatropha-Samen erhält man reichlich Öl, das als Nahrungsmittel viel zu giftig ist. Da Jatropha auch auf trockenen Böden gut wächst, auf denen Nahrungspflanzen keine Chance haben, gibt es auch keine Konkurrenz nach dem Motto „Teller oder Tank?"
Teurer als herkömmliches Kerosin ist das Jatropha-Öl ebenfalls nicht. Schon vor knapp zwei Jahren hob daher ein AirNew-Zealand-Jumbojet vom Flughafen Auckland ab, bei dem ein Triebwerk mit einer Mischung aus einer Hälfte Jatropha-Öl und der anderen Hälfte handelsübliches Kerosin betrieben wurde. Diese Mischung bleibt bis minus 47 Grad Celsius flüssig und kann daher auch bei den eisigen Temperaturen in 12 000 oder 13 000 Meter Höhe verwendet werden, in denen ein Jumbojet normalerweise unterwegs ist. Der Test lief hervorragend, Chefpilot David Morgan fielen während des Zwei- Stunden-Fluges keine Unterschiede zwischen den drei mit normalem Kerosin betriebenen Triebwerken und der mit der Jatropha-Mischung versorgten Turbine auf.
Gleichwohl: Die Kiwis suchen auch seither nach einer weiteren Alternative. Denn für den Kerosindurst seiner knapp hundert Jets müsste Air New Zealand zehn Prozent der Fläche Neuseelands mit Jatropha bepflanzen. Ihre Nationalparks, Schafweiden und Weinberge wollen die Menschen am anderen Ende der Welt denn doch nicht opfern. Inzwischen wachsen auf der Südinsel Neuseelands in ersten Versuchen in großen Tanks Algen, die mit Abwasser aus den Städten Blenheim und Christchurch gedüngt werden. Aus ihnen kann man einen nachhaltigen Sprit herstellen, der zurzeit aber noch erheblich teurer als Kerosin aus Erdöl ist. Da weltweit an Algensprit eifrig geforscht wird, könnte die Situation allerdings bis 2013 bereits viel besser sein. Dann will Air New Zealand mindestens zehn Prozent seines Kerosins durch Bio-Sprit ersetzen.
Damit das auch gelingt, senkt die Airline den Durst ihrer Jets inzwischen auf verblüffende Weise. So wurde bereits 2009 auf Langstreckenflügen das Inflight-Magazin aus Papier durch eine elektronische Version ersetzt, die auf dem Bildschirm angeschaut werden kann, den jeder Passagier an seinem Platz hat. „Das spart 75 Kilogramm Gewicht und einiges an Kerosin bei jedem Flug", erklärt Ed Sims. Ein kleiner Schritt, gewiss.
In etliche Flugzeuge baut die Airline auch elektrische Trockner ein, die während eines Langstreckenfluges rund 200 Kilogramm Wasser aus der Luftfeuchtigkeit in den Zwischenräumen zwischen der Kabinenverkleidung und der Flugzeughülle holen und nach außen blasen. So verringert sich das Gewicht der Jets und ihr Kerosinbedarf. Allein damit spart die Airline jedes Jahr 1,89 Millionen Liter Kerosin und 4700 Tonnen Kohlendioxid.
„Weitere tausend Liter Treibstoff sparen wir auf jeder Strecke, wenn wir den Landeanflug ändern", berichtet Ed Sims weiter. Bei Landungen in San Francisco und Los Angeles haben die Piloten das in enger Zusammenarbeit mit den dortigen Flughäfen getestet. Statt des üblichen 20-minütigen Landeanfluges sinken die Jets dabei in nur zehn Minuten aus Reiseflughöhe zur Landebahn hinunter. Da der Spritverbrauch durch den geringeren Luftwiderstand in der Reiseflughöhe deutlich geringer ist, sparen diese zehn zusätzlichen Minuten ganz oben eben weitere tausend Liter Kerosin pro Flug.
Und dann gibt es noch den Emissionsrechner, mit dem die Airline ihren Passagieren anbietet, für die 4,1 Tonnen Kohlendioxid pro Passagier auf einem Flug von Berlin über London nach Neuseeland und zurück eine freiwillige Ausgleichszahlung zu leisten. Mit diesen zurzeit rund 65 Euro finanziert Air New Zealand dann zum Beispiel Windkraftanlagen in Neuseeland, die dem Klima vergleichbare Mengen Kohlendioxid ersparen. Wer so weit weg vom Rest der Welt ist wie die Kiwis, muss sich halt etwas einfallen lassen, die Ökobilanz seiner weiten Flüge aufzupolieren.