WWW: Notebooks sollen Erdbeben melden
Viel Erdbebenfolgen könnten mit früheren Warnungen verhindert werden. Doch die speziellen Hightech-Geräte sind sehr teuer - und für Entwicklungsländer oft unerschwinglich. Forscher setzen nun auf dezentrale Messungen: durch Erschütterungs-Sensoren in Notebooks und Meldungen von Community-Nutzern.
Haiti, Chile, Neuseeland: Auch im Jahr 2010 gab es wieder eine Reihe von Erdbeben, die verheerende Schäden anrichteten und Tausende Menschen das Leben kosteten. Viele von ihnen hätten womöglich gerettet werden können, wenn in den betroffenen Regionen mehr spezielle Hightech-Geräte, sogenannte Breitband-Seismometer, installiert gewesen wären und die Behörden schneller einen Überblick über die Schäden bekommen hätten. Doch derartige Technik ist teuer. Zu teuer insbesondere für viele Entwicklungsländer.
Erdbebenforscher wollen die Lage nun mit einfachen Mitteln entscheidend verbessern - indem sie nämlich Internetnutzer weltweit zu ihren Verbündeten machen. Deren Computer sind häufig bereits mit der Basistechnik zur Erdbebenaufzeichnung ausgestattet oder lassen sich für wenig Geld nachrüsten.
Das entsprechende kleine Bauteil nennt sich mikroelektromechanischer Sensor (MEMS). Es funktioniert ähnlich wie das Pendel einer Uhr und registriert Beschleunigungen in zwei oder drei Raumrichtungen. Wird dabei ein vorgegebener Grenzwert überschritten, etwa weil beispielsweise ein Notebook vom Tisch fällt, schaltet sich die Festplatte ab, bevor das Gerät den Boden berührt.
Dadurch können die wertvollen Speicherdaten häufig gerettet werden, selbst wenn das Computergehäuse stark beschädigt ist. Für diese Beschleunigungsmesser interessieren sich seit einiger Zeit immer mehr Erdbebenforscher. Denn die Sensoren können prinzipiell auch Erdbeben aufzeichnen und somit Wissenschaftlern und Rettungskräften wertvolle Daten liefern, wie die Wissenschaftsjournalistin Ute Kehse in der Dezember-Ausgabe des Magazins "bild der wissenschaft" berichtet.
Jeder kann Erdbeben-Melder werden!
Voraussetzung dafür sind lediglich eine Internetverbindung und ein Programm, das aus dem Netz heruntergeladen werden kann und die Sensoren innerhalb weniger Minuten in Mini-Seismographen umwandelt. Erdbebenforscher wie Elizabeth Cochran von der University of California in Riverside versuchen derzeit, möglichst viele Freiwillige dafür zu begeistern, sich als Hobby-Seismologen zu betätigen und dem "Quake Catcher Network" (QCN) beizutreten.
In den USA stellen den Wissenschaftlern bereits rund 1.000 Erdbebenjäger die Daten ihrer Sensoren zur Verfügung, in Deutschland sind es 200. Immerhin 50 Beben konnten sie auf diese Weise seit Beginn des Projekts im Jahr 2008 einfangen - was auch zum Erfolg des Netzwerks beigetragen haben dürfte: "Wir waren sehr überrascht, wie schnell die Nutzer uns gefunden haben - ohne dass es viel Werbung gab", sagt Cochran, die Gründerin des QCN.
Wessen Computer noch nicht mit einem MEMS ausgestattet ist, der kann ihn mit einem streicholzschachtelgroßen Sensor nachrüsten oder diesen einfach auf dem Boden festschrauben und über ein USB-Kabel mit dem Internet verbinden. Letzteres ist der Idealfall, denn durch die Befestigung können Fehlermeldungen durch kleinere Erschütterungen reduziert werden. Gerade einmal 50 Dollar kostet ein solcher Sensor - ein Preis, den beispielsweise viele Schulen im erdbebengefährdeten Kalifornien gerne zu zahlen bereit sind.
Haben Forscher wie Cochran das Gerät installiert, halten sie nämlich meist auch noch eine spannende Lehrstunde zum Thema Erdbeben. Cochran erklärt: "Wir hoffen, dass die Teilnehmer unseres Netzwerks - vor allem Schüler in Klassenräumen mit einem Sensor - besser auf Erdbeben vorbereitet sind." Je mehr Sensoren gerade in erdbebengefährdeten Ballungszentren stehen, desto besser können Hilfskräfte nach einem Beben ihre Arbeit koordinieren.
Nicht nur die Stärke, sondern auch die räumliche Verbreitung
Die große Zahl von Einzeldaten liefere nämlich häufig genauere Aussagen über das tatsächliche Ausmaß und die räumliche Verbreitung der Verwüstungen als einzelne teure Seismographen, erklärt Cochran: "Seismologen können zwar schnell die Magnitude eines Erdbebens bestimmen. Aber aus ihr lässt sich nicht unbedingt ableiten, wie stark die Erschütterungen waren."
Welche Schäden ein Beben letztlich anrichtet, hängt vielmehr auch von diversen weiteren Faktoren ab, etwa den Gesteinsstrukturen im Untergrund, wie sich beispielsweise beim Northridge-Beben am 17. Januar 1994 in der Nähe von Los Angeles zeigte: "Alle nahmen an, dass sich die Zerstörung in der Nähe des Epizentrums in Northridge konzentrieren würde. Es gab aber auch unerwartet starke Schäden im etwa 20 Kilometer entfernten Santa Monica", erinnert sich die Wissenschaftlerin.
Community-Nutzer als lebende Sensoren
Doch nicht nur die Sensibilisierung der Menschen und die Notfallhilfe nach einem Beben sind wichtige Ziele von Projekten wie QCN, sondern auch die frühzeitige Warnung der Bevölkerung, wenn ein Beben auftritt. In diesem Punkt setzen die Erdbebenspezialisten ebenfalls auf das Internet und dort vor allem auf soziale Netzwerke, wie "bild der wissenschaft" berichtet. "Menschen sind ja in gewissem Sinn selbst Erdbebensensoren", erläutert Jochen Zschau, Wissenschaftler am Geoforschungszentrum Potsdam.
"Und je mehr Menschen ein Beben miterleben, desto mehr Informationen bekommt man." Das gilt insbesondere für das Internet, das neben Radio und Fernsehen die wichtigste Informationsquelle für Menschen ist, die gerade ein Beben erleben oder erlebt haben: Schon aus der Häufigkeit von Mitteilungen oder Sucheinträgen zu Begriffen wie "Erdbeben" oder "Erschütterungen" lassen sich Informationen über Beben gewinnen. Die ersten Hinweise auf Erdbeben sind beispielsweise beim Internetkurznachrichtendienst Twitter bereits wenige Sekunden nach den ersten Erschütterungen zu lesen - wodurch es sogar schon gelungen sein soll, Menschen rechtzeitig zu warnen.
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