Neuseelands Glühwürmchen-Grotten
Es gibt sie nur am anderen Ende der Welt, und auch dort sind sie schwer zu erreichen. Dennoch ist eine besondere Glühwürmchenart in Neuseeland zur Touristenattraktion geworden. Wer die Tierchen sehen will, muss aber ruhig sein - und darf keine Angst im Dunkeln haben.
Ruhig und gleichmäßig gleitet das kleine Boot vorwärts. Ein Wasserfall rauscht in der Nähe, sonst ist nichts zu hören. Eng nebeneinander kauern die zwölf Ausflügler auf den Bänken, nicht einmal ihre Hände können sie in der Dunkelheit erkennen. Einige haben die Köpfe weit in den Nacken gelegt, um die vereinzelt schimmernden Pünktchen über sich zu betrachten. Andere recken die Hälse und versuchen bereits einen Blick hinter die nächste Biegung zu erhaschen. Dort liegt die größte der touristisch erschlossenen Höhlen von Te Anau auf Neuseelands Südinsel. Abertausende Glühwürmchen strahlen darin von der Decke wie Sterne an einem klaren Nachthimmel.
Es sind kuriose kleine Tiere, die den Ausflug in die Grotten am Ufer des Lake Te Anau unvergesslich machen. Mit den europäischen Leuchtkäfern seien die Glühwürmchen aber nicht verwandt, sagt Höhlenführer Angus Brown. "Es gibt diese Art nur hier in Neuseeland - und verwandte Arten im Osten Australiens." Anders als bei den Insekten in Europa sei ihr Licht auch nicht grün, sondern bläulich.
Neun Monate verbringen die Glühwürmchen als Larve. Durch ihr Leuchten versuchen sie Beute anzulocken: Je stärker ihr Hunger, desto heller strahlen sie. Insekten sollen sich in den Fäden verheddern, die die Tierchen von der Decke spinnen. Misslingt das Vorhaben, verspeisen sie auch Artgenossen - Kannibalismus in der Dunkelheit.
Auf dem Weg zur Fjordlandschaft Milford Sound legen jedes Jahr Tausende Touristen einen Zwischenstopp in den Kalksteinhöhlen im Te Wahipounamu Nationalpark ein. Seit 1990 zählen sie zum Weltnaturerbe der Unesco. In der Hochsaison im Südhalbkugel-Sommer sind die großen Schnellboote voll, die mehrmals täglich von der Kleinstadt Te Anau aus den zweitgrößten See Neuseelands überqueren - bis zum versteckten Eingang des Höhlensystems. Dort geht es in kleinen Gruppen zunächst zu Fuß durch unterirdische Gänge, vorbei an einem Strom eiskalten Wassers, der donnernd in die Tiefe stürzt. Schließlich geht es in kleinen Booten in den Berg hinein in die große Glühwürmchen-Höhle. Das Grottensystem erstreckt sich auf vier Etagen über 6,7 Kilometer.
Zu verdanken haben die Neuseeländer das Spektakel dem Abenteurer Lawson Burrows. Lange Zeit galten die "Höhlen mit strudelndem Wasser" nur als eine Legende der Maori-Ureinwohner. Burrows entdeckte aber 1948 einen Bach, der aus der Felswand in den See schoss. Er zwängte sich unter Wasser durch den schmalen Spalt zwischen den Felsen und tauchte im Schein tausender Glühwürmchen wieder auf. Später soll er gesagt haben, der Anblick habe ihn an Bilder vom Weltraum erinnert: unheimlich, aber nicht bedrohlich.
"Feierlich" und "unglaublich romantisch" sei das Erlebnis für sie gewesen, schwärmt ein junges Pärchen aus Deutschland, wieder zurück im Tageslicht. In der dunklen Grotte zu sprechen, wagt keiner - Angus Brown hat zuvor auch alle ermahnt: "Ihr müsst leise sein, sonst wittern die Glühwürmchen Gefahr und hören auf zu leuchten." Auch das Fotografieren ist wegen des hellen Blitzlichtes verboten.
Wie die Larven aus der Nähe aussehen, bekommen die Besucher auf Fotos vor der Besichtigung gezeigt. Und die geschlüpften Mücken? Brown macht es spannend: "So schön sie leuchten - die Natur meint es nicht gut mit Ihnen." Die Mücken können kaum fliegen. Aber damit nicht genug: Sie haben weder einen Mund noch ein Verdauungssystem - und verhungern deshalb nach wenigen Tagen. Immerhin: Einmal können sie sich noch paaren. 20 Tage später lässt eine neue Generation von leuchtenden Larven scheinbar den Himmel unter der Erde erstrahlen.