Neuseeland und die Westpazifik-Region sind am zweiten Weihnachtstag trotz mehrerer Beben glimpflich davongekommen. Die Erinnerung an den verheerenden Tsunami von 2004 ist noch wach.
Der zweite Weihnachtstag ist auch in Neuseeland ein Feiertag, aber niemand merkt es wirklich. Denn der "Boxing Day", dessen Name von der Weitergabe von Almosendosen an die Armen und die Auszahlung der Weihnachtsgratifikation an die Dienstboten herrührt, ist der Tag, an dem in den Läden in ellenlangen Schlangen zwar nicht geboxt, aber gedrängt wird. Es ist der umsatzträchtigste Tag des Jahres, weil die Geschäfte mit Super-Sonderangeboten locken.
Nach einem wirtschaftlichen Krisenjahr im Allgemeinen und den horrenden Einnahmeverlusten als Folge des Erdbebens vom 4. September - sei es, weil sie ihre beschädigten Läden schließen mussten oder weil die Leute andere Dinge im Kopf hatten als einkaufen zu gehen - setzte vor allem die Geschäftswelt in Christchurch auf die "Boxing Day Sale". Aber für viele war es ein Horrortag. Das Zentrum der größten Stadt der Südinsel Neuseelands wurde nach mehreren starken Nachbeben abgesperrt, Geschäfte mussten schließen, ein Einkaufszentrum wurde evakuiert.
Diese Schritte seien reine Vorsichtsmaßnahmen, um die Sicherheit einiger beschädigter Gebäude zu überprüfen, sagte ein Polizeisprecher. Vielerorts fiel kurzfristig der Strom aus, Scheiben zerbrachen, einige bei den vorangegangenen Beben beschädigte Häuser stürzten vollends ein, auf vielen Gehwegen lag neuer Schutt von herabgefallenen Ornamenten und Ziegelsteinen. Auch an der Kathedrale, dem Wahrzeichen der Stadt, brach Steinwerk vom First.
Auf wundersame Weise kam dabei niemand zu Schaden, obwohl die Stadt voller Menschen war, darunter hunderte Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes, das im Hafen von Lyttelton festgemacht hatte. Es war, als hätte die Erde nach ziemlich ruhigen Wochen, in denen nur noch wenige wahrnehmbare Erschütterungen in geringer Frequenz registriert worden waren, plötzlich einen schweren Schluckauf bekommen. Geologen nennen das einen Erdbebenschwarm. Innerhalb von 24 Stunden bebte es in der größten Stadt der Südinsel Neuseelands 29 Mal. Die schwerste Erschütterung der Stärke 4,9 auf der Richterskala um 10.30 Uhr Ortszeit rangierte in der Rangliste der Beben seit dem großen 7,1-Rumpler im September zwar nur an 29. Stelle, aber da das Epizentrum im Vorort Opawa nur fünf Kilometer von der Stadtmitte entfernt und zwölf Kilometer tief lag, wurde Christchurch am Nerv getroffen. Nur an zehn der 113 Tage seit dem 4. September wurde mehr Energie freigesetzt.
Einige Beben fanden nur drei bis fünf Kilometer unter der Erdoberfläche statt, so dass sie selbst bei einer Stärke unter 4,0 Nervosität und Angst auslösten. Um 10.30 Uhr war der große Run vor allem auf die Elektronikgeschäfte in vollem Gange. "Ich gehe gerne einkaufen", sagte die stellvertretende Bürgermeisterin Ngaire Button mit Blick auf die leeren Kassen der ohnehin ums Überleben kämpfenden Innenstadt-Geschäfte, "aber ich möchte dabei nicht getötet werden".
In Neuseeland werden jedes Jahr mehr als 14 000 Erdstöße registriert, von denen aber nur rund 150 tatsächlich zu spüren sind.
Auch andernorts grollte gestern die Erde. Vor der Nordinsel Neuseelands, rund 80 Kilometer nördlich der aktiven Vulkaninsel White Island, wurde - allerdings in einer Tiefe von 230 Kilometern - ein Beben der Stärke 5,9 registriert.
33 Kilometer unter den Gewässern der Westpazifik-Nation Vanuatu wurde gegen Mitternacht (Ortszeit) ein Erdbeben der Stärke 7,3 gemessen, glücklicherweise 145 Kilometer von der Insel Tanna und 230 Kilometer von der Hauptstadt Port Vila entfernt, so dass es keine Meldungen von Menschen- oder Sachschaden gab. Das Beben war so heftig, dass das Pazifik-Tsunami-Warnzentrum eine Riesenwelle registrierte und Vanuatu, Neukaledonien sowie die Fiji-Inseln vor deren "zerstörerischen Auswirkungen" warnte. Das Warnzentrum hob seine Warnung allerdings wenige Stunden später wieder auf, da von den betroffenen Küsten keine besonderen Vorkommnisse berichtet wurden.