Blei im Trinkwasser
Bild.: Sigurd Röber
Zum Endspurt haben die Wissenschaftler noch einmal viel Arbeit auf den Tisch bekommen. Wenige Tage bevor am 1. Dezember in Deutschland mit zehn Mikrogramm pro Liter ein strenger Grenzwert für Blei im Trinkwasser in Kraft tritt, haben die Mitarbeiter des Hygiene-Instituts der Universität Bonn alle Hände voll zu tun. Sie analysieren Proben, die ihnen Hausbesitzer, besorgte Mieter oder auch Behörden vorbeibringen, um die Blei-Konzentration in ihrem Trinkwasser zu erfahren - und regelmäßig schlagen die sensiblen Messgeräte der Fachleute Alarm.
Wenn der Grenzwert überschritten wird, so Fachbereichsleiter Harald Färber, drohen Gesundheitsgefahren. Denn im Körper wirkt das Metall als Nerven- und Blutgift: "Ungeborene, Säuglinge, Kleinkinder bis circa zum sechsten Lebensjahr sind besonders betroffen, weil deren Nervensystem viel stärker durch das giftige Schwermetall beeinträchtigt wird. Verschiedene Studien haben belegt, dass die Intelligenzentwicklung von Säuglingen und Kleinkindern durch Blei im Wasser beeinträchtigt wird. Es gibt auch Hinweise, dass das Gehör Schaden nimmt. Anorganische Bleiverbindungen gelten als krebserregend."
Aber auch jüngeren Frauen, die noch Kinder bekommen wollen, rät der Lebensmittelchemiker vom Genuss stark bleihaltigen Trinkwassers dringend ab. Das Blei lagert sich bei Erwachsenen im Körper ein und kann während einer Schwangerschaft mobilisiert werden – und so das Ungeborene schädigen. "Aber grundsätzlich", ergänzt Färber, "sind auch Erwachsene gefährdet."
Bleihaltige Wasserleitungen seit mehr als 2000 Jahren
Bekannt sind die Gesundheitsgefahren durch Blei schon fast so lange wie der Stoff für den Bau von Leitungen verwendet wird: seit der Antike. Und trotzdem wurde das leicht biegsame und einfach zu verarbeitende Metall bis ins 20. Jahrhundert in Deutschland für Trinkwasserinstallationen verwendet. Wie lange genau, hing im föderal organisierten Staat bisher von der Region ab.
Während im Süden bereits seit mehr als 100 Jahren Bleileitungen für Trinkwasser verboten sind, wurden Bleirohre in Norddeutschland noch bis in die 1970er Jahre in Neubauten verlegt. Hier hatten die Behörden wohl vor allem auf die Wirksamkeit der Schutzschicht vertraut – etwa durch Kalk -, die sich innerhalb der Bleirohre im Laufe der Zeit bildet und verhindern soll, dass das Metall ins Trinkwasser gelangt. Eine Rechnung, die nicht aufgegangen ist: "Heute wissen wir, dass die geringen Mengen, die von den Bleirohren durch die Schutzschicht abgegeben werden, ausreichen, um die heutigen strengen Grenzwerte zu überschreiten", erklärt Lebensmittelchemiker Färber.
Blei macht dumm
Das Wissen um diese Gefährdung im Alltag ist in der Bevölkerung allerdings noch unterentwickelt - trotz diverser Aufklärungskampagnen in jüngster Zeit. "Das Trinkwasser in Deutschland hat eine sehr hohe Qualität. Das hat die Bevölkerung auch wahrgenommen und sich zum großen Teil keine Gedanken gemacht, woher das Wasser kommt und wie man das Wasser schützen muss", analysiert Karin Gerhardy vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW), der eng mit Behörden und Wasserversorgern zusammenarbeitet. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der EU-Trinkwasserrichtlinie, die Ende der 1990er Jahre die schrittweise Absenkung der Grenzwerte festlegte, um das Blei aus dem Trinkwasser in Europa weitgehend zu eliminieren.
Rohre müssen ausgetauscht werden
Viele Versorger hätten bereits bei der ersten Grenzwertverschärfung vor zehn Jahren ihre Bleileitungen ausgetauscht, so Gerhardy, zahlreiche Vermieter oder Hausgenossenschaften indes abgewartet, weil sie nicht informiert wurden oder weil sie die Grenzwerte noch mit den alten Installationen einhalten konnten. Politischen oder medialen Druck gab es nicht, da das Thema Blei aus der gesellschaftlichen Debatte weitgehend verschwunden ist, seit in den 1980er Jahren bleihaltiges Benzin verboten wurde und damit ein Meilenstein im Gesundheitsschutz erzielt wurde.
Mit der nun anstehenden Verringerung des Grenzwerts von 25 auf zehn Mikrogramm pro Liter ist Abwarten keine Option mehr, warnt das Umweltbundesamt: „Mit dem neuen Grenzwert werden Bleirohre als Trinkwasserleitung quasi unbrauchbar." Genau das müssen Hauseigentümer den Bewohnern nun auch mitteilen: Wer nach dem 1. Dezember noch Bleileitungen in seinem Haus verwendet, muss die Mieter zwingend darüber und über die Gefahren informieren. An einem Ausbau der noch vorhandenen Bleileitungen führt dann kein Weg vorbei.
Bis die letzten Meter der Netze ausgetauscht sind, empfiehlt die Behörde als Übergangslösung Schwangeren und Kleinkindern, kein bleihaltiges Leitungswasser zu trinken oder für die Zubereitung von Speisen zu verwenden. Stattdessen sollten zumindest diese Bevölkerungsgruppen auf abgepacktes Wasser ausweichen.
Nicht nur Deutschland hinkt hinterher
Vertraut machen mit diesen Vorsichtsmaßnahmen muss sich damit ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung. Für die Region Bonn sieht Trinkwasserexperte Färber auch nach dem Stichtag noch erheblichen Sanierungsbedarf – mehr als 4000 Proben aus der Region hat er in diesem Jahr geprüft: „Ganz vorsichtig geschätzt haben in den typischen Altbauvierteln in Bonn mehr als die Hälfte der Häuser – vielleicht 60-70 Prozent - noch ein Bleiproblem. Häuser neueren Baujahrs sind wesentlich weniger betroffen, Objekte ab Anfang der 70er-Jahre quasi nicht mehr."
Auch in anderen Bundesländern sieht es kaum besser aus. In Hamburg sollen nach Schätzungen von Verbraucherorganisationen bis zu 50.000 Einwohner regelmäßig Trinkwasser konsumieren, dessen Blei-Grenzwert bereits überschritten ist.
Mangelndes Engagement beklagen Gesundheitsschützer indes nicht nur bei einigen Vermietern und Hausgenossenschaften in Deutschland. Auch in Österreich, Großbritannien und weiteren EU-Ländern hapert es bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie. Dabei gebe es über die Notwendigkeit verschärfter Grenzwerte unter Experten keinen Streit: "Diese europäische Initiative begrüßen die Fachleute einhellig", so Trinkwasserexpertin Gerhardy.
Autor: Andreas Noll
Redaktion: Tobias Oelmaier