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Plastik und Deutschland im Mittelmass

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Die wahren Killer der Weltmeere
Forscher finden immer mehr Plastikpartikel in toten Fischen und Vögeln. Jetzt will die Europäische Union handeln, die Mitgliedsländer sollen den Verbrauch von Plastiktüten um 80 Prozent senken. Aber wie?

"Das Problem ist so groß, dass man es gar nicht messen kann", warnt Benjamin Bongardt, Abfall-Experte vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Niemand könne genau sagen, wie viel Plastik im Meer herumschwimme, man wisse nur, dass es deutlich mehr sei, als die Natur verkraften könne.

Seit mehr als zehn Jahren versuchen Meeresforscher, anhand toter Vögel Aufschluss über die Verschmutzung der Ozeane zu bekommen. Im Durchschnitt finden sie heute 31 Plastikpartikel in den Mägen der meist an den Küsten angeschwemmten Tiere, Tendenz steigend. Aus diesen Zahlen leiten die Wissenschaftler ihre Schätzungen ab, nach denen auf jedem Quadratkilometer Wasseroberfläche rund 18.000 Kunststoffpartikel treiben, manchmal mikroskopisch klein, manchmal als ganze Tüten.

Plastik bleibt Jahrhunderte im Meer

Viele Kunststoffe lösten sich erst nach 450 Jahren auf, sagt NABU-Experte Bongardt. Einen großen Teil der Verschmutzung trügen die heute allgegenwärtigen Plastiktüten bei: "80 Prozent aller Tüten kommen vom Land und nicht von der See. Das heißt also, die Tüten werden nicht von Schiffen über Bord geworfen, sondern sie kommen primär über Touristen, über die Anwohner, über Küsten, über Flüsse, über den Wind in die Meere." Vor allem die ganz dünnen und leichten Tüten, die meist schon nach dem ersten Gebrach im Müll landeten, würden von vielen Deponien aus am weitesten übers Land geweht.

Die Europäische Kommission in Brüssel will nun die Notbremse ziehen und die Mitgliedsstaaten zu einer drastischen Reduzierung der Plastiktüten drängen. 100 Milliarden Kunststofftüten würden jedes Jahr in der EU verwendet, rechnet Umweltkommissar Janez Potočnik vor: "Mehr als acht Milliarden landen als Abfall in der Landschaft und schaffen enorme Umweltprobleme, vor allem bei Tieren, die Teile davon verschlucken." Potočnik hat deshalb am Montag (04.11.2013) einen Entwurf für eine Änderung der Verpackungsrichtlinie vorgelegt. Danach sollen alle Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, den Verbrauch von Plastiktüten zu senken.

Vier Plastiktüten in Finnland, 450 in der Slowakei

Doch das Problem mit den leichten Plastiktaschen ist ungleich verteilt. Dänen und Finnen kommen pro Kopf und Jahr mit vier solcher Taschen aus, Polen, Portugiesen und Slowaken dagegen brauchen über 450. Deutschland liegt mit gut 70 Tüten dazwischen. "Einige Mitgliedsstaaten haben bereits große Erfolge bei der Reduzierung der Plastiktüten erreicht", meint Umweltkommissar Potočnik. "Wenn die anderen nachziehen, dann können wir den Verbrauch in der Europäischen Union um gut 80 Prozent senken."

Gerade weil die Unterschiede so groß sind, will Potočnik jedem Land freistellen, mit welchen Maßnahmen es seinen Plastikmüll verringert. Notfalls sollen die EU-Länder nach seinen Vorstellungen ausnahmsweise die Binnenmarktregeln ignorieren dürfen: "Mitgliedsländer sollen das Recht bekommen, auch Vermarktungsrestriktionen zu verhängen, bis hin zum Verbot von Plastiktüten, was unter der bisherigen Gesetzgebung nicht möglich war."

Ein Verbot von Plastiktüten ist unpopulär

Ob es dazu kommt, ist allerdings noch offen. Denn der Vorschlag des EU-Umweltkommissars müsste noch vom Europäischen Parlament und vom EU-Ministerrat, in dem die Regierungen der Mitgliedsländer vertreten sind, beschlossen werden. Und von denen könnten einige erhebliche Vorbehalte haben. Zum einen ist ein Verbot gerade in Ländern mit hohem Plastiktütenverbrauch wenig populär, zum anderen dürften Länder mit einer starken Kunsstoffindustrie - wie Frankreich und Deutschland - noch mächtig Druck machen, die Vorschläge weichzuspülen.

Die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt kritisiert, dass es Potočnik den Mitgliedsländern überlassen will, wie sie die Plastiktüten nach und nach abschaffen wollen. Der Kommissar sei damit schon vor der Auseinandersetzung eingeknickt: "Wenn ich es ernst meine als Umweltkommissar, dann muss es natürlich eine einheitliche Lösung für ganz Europa geben. Wenn ich meine, es gibt ein Problem, dann muss ich das Problem auch anpacken."

Benjamin Bongardt vom Naturschutzbund Deutschland dagegen begrüßt den flexiblen Ansatz des Kommissars. Wichtiger als ein langer Streit sei, dass jetzt bald etwas passiere, dass einige Länder endlich ernsthaft anfingen, gegen die Meeresverschmutzung vorzugehen. Bongardt verweist auf das irische Beispiel und hofft auf Nachahmer: Irland hat über die Jahre den Gebrauch von Plastiktüten schrittweise verteuert. Derzeit gilt pro Tüte eine Steuer von 22 Cent: "Das hat den Effekt, dass die Zahl der Plastiktüten um 90 Prozent gesunken ist und jetzt jeder Einwohner in Irland noch 18 Plastiktüten in Anspruch nimmt und gleichzeitig die Steuergelder verwendet wurden, um entsprechende Aufklärungsarbeit zu machen."

Neuer Wohlstand, mehr Plastik

Der Abfallexperte des Naturschutzbundes sieht die Europäische Union als Lokomotive für den weltweiten Meeresschutz. Denn die Probleme gingen weit über Europa hinaus. Vor allem in den Schwellenländern wachse mit dem Wohlstand auch der Verbrauch von Kunststoffgütern, in manchen Ländern erstickten die Flüsse und Seen förmlich an Plastiktüten und auch Plastikflaschen. Vieles davon lande irgendwann im Meer, manchmal nach Jahren, oft nach Jahrzehnten.

Im Vergleich dazu seien die Probleme in den meisten Ländern Europas eher gering, meint Bongardt: "Selbstverständlich kann die Europäische Union das weltweite Problem nicht lösen, aber sie kann mit gutem Beispiel vorangehen und sagen, ja, wir bemühen uns in den Industrieländern, die Kunststoffe zu verringern, und vielleicht wird so etwas auch kopiert von den einzelnen Schwellenländern."

Autor: Alois Berger

Redaktion: Klaus Jansen



Sigurd A.Röber

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